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Birk Meinhardt „An der Kette

Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.

An der Kette

Welche Literatur in den Ladenregalen steht und beworben wird, das liegt immer seltener in der Hand der Verlage. Die Buchwelt klagt zwar stets über das Internet. Doch inzwischen ist klar, dass es zur Zerstörung einer ganzen Branche keiner neuen Medien bedarf: Ein Konzern wie Thalia besorgt das auf seine Weise.


Von Birk Meinhardt, Süddeutsche Zeitung, 14.10.2009


Das ist eine Geschichte, in der, obwohl sie vom Kulturgut Buch handelt, nicht wenige Leute Angst haben. Dazu gehört auch die Angst, zitiert zu werden, weshalb man diesen Leuten andere Namen geben muss.

Zum Beispiel ist da die Vertriebsleiterin eines mittelständischen Verlags. Sie möge Bachmann heißen. Die Frau Bachmann also gibt wieder, wie der Herr Busch sie einmal mit den Worten verabschiedete, nächstes Jahr sehe man sich wieder, und dann sei die Rolltreppe fällig. „Da”, sagt sie, „möchte man doch am liebsten einen Farbeimer schmeißen.”

Zur Rolltreppe später. Erst einmal zu Michael Busch. Er ist der Geschäftsführer der Buchhandelskette Thalia, und man geht nicht fehl, wenn man behauptet, es handle sich bei ihm um den mächtigsten Mann in der ganzen Branche.

Busch ist ein sportlicher Typ, mal erinnert er an den funkensprühenden Fußballtrainer Matthias Sammer, mal an den metallischen Bond-Darsteller Daniel Craig. Er hat nichts Zweifelndes, oder wenn er es hat, verbirgt er es gut.

Zwei Sachen konnte ich mir nicht vorstellen, Bücher und Süßwaren”, sagt Michael Busch. Das war Anfang der 90er Jahre, und er, studierter Volkswirt, war bei Douglas fürs Controlling zuständig, und zu Douglas, der Parfümeriekette, gehörten damals schon Schoko-Hussel und Juwelier-Christ. Noch nicht Thalia. Stattdessen hatte man die linksalternative Montanus-Buchgruppe im Angebot. Und wie es manchmal so geht: Busch, der Verächter, wurde dort Geschäftsführer. Der Bruttoumsatz, den er am Anfang, 1995, erwirtschaftete, betrug 70 Millionen Euro. Jetzt, mit Thalia, sind es 800 Millionen. „Wir wollen eine Milliarde erreichen. Spätestens übernächstes Jahr möchten wir das schaffen”, sagt Busch, „da steckt wirklich eine Menge Herzblut drin.”

Übergangslos kommt er, dieser Zusatz. Busch definiert seinen Job über das Geld, das er macht, und nicht über die Bücher, die er vertreibt, um das Geld zu machen. Sie sind seinem Herzen ferner. Man merkt es, wenn man im Laufe eines langen Gesprächs die Namen Hans Henny Jahnn und Warlam Schalamow fallen lässt und er sie nicht kennt. Jahnn hatte in den 50er Jahren „Fluss ohne Ufer” veröffentlicht, eine großartige Romantrilogie, von Schalamow erschienen zuletzt mehrere schonungslose Gulag-Geschichten. Der Normalbürger muss nun über die beiden gar nicht Bescheid wissen, doch für einen in der Literaturbranche Tätigen gehört es zum Einmaleins – gehörte es.

Und das ist die eigentliche Geschichte: Wie das Buch jetzt verkauft wird, als wäre es ein Deo oder ein Schokoriegel oder ein Ohrring, wie es, als allerletztes Produkt, in den harten, effizienten kapitalistischen Warenkreislauf geschoben wird, und was daraus folgt für das Buch.

Einerseits war es natürlich immer Teil dieses Kreislaufs. Es sollte sich schon rechnen; Verlage und Händler müssen nicht erst seit heute überleben. Andererseits war der Kreislauf ein kommoder. Es herrschte weitgehendes Einvernehmen zwischen beiden Seiten. „40 Prozent Rabatt gab’s für den Buchhändler, darüber hat man sich gar nicht mehr unterhalten”, erinnert sich Frau Bachmann. Es war die Zeit der Vertreter, die mit ihren schweren Koffern kreuz und quer durch die Republik reisten, darin auch immer Werke, von denen sie wussten, die würden nicht leicht verkäuflich sein, so wie es ja auch die Händler wussten, die sie dennoch bestellten und den Kunden empfahlen; es war die Zeit, in der die amerikanische Autorin Susan Sontag, in einem Berliner Buchladen stehend, verzückt ausrief: „What a long shelf life”, was für ein langes Regalleben! „Und ich”, sagt die Agentin und frühere Übersetzerin Karin Graf, die Sontag begleitete, „wusste damals gar nicht, wovon sie redete . . .”

Es war allerdings auch die Zeit, in der weniger intellektuelle Bürger, so sie sich überhaupt einzutreten trauten, gleich wieder aus dem Laden stürzten, weil der Inhaber, den neuen Habermas stapelnd, sie mit einem Blick bemaß, der nur eines ausdrückte, nämlich größten Unwillen.

Konzentration”, sagt die Frau Bachmann, „war damals nicht mehr als ein Schlagwort für uns. Jetzt wissen wir, was es bedeutet.” Sie klingt dabei nicht zynisch, nur müde und fast demütig.

800 der einst fast 5000 Buchhandlungen im Lande haben in den letzten zehn Jahren zusperren müssen; die Ketten steigerten im selben Zeitraum ihren Marktanteil ums Doppelte auf fast 30 Prozent.

2001, das war die Zäsur, kaufte Michael Buschs Gemischtwarenhandel die Thalia-Buchhandlungen. Man wollte, wie es in einer Firmenschrift heißt, „den lifestyleorientierten Wirtschaftssegmenten”, die man schon im Portfolio hatte, noch was Passendes hinzufügen; so ein Coelho, ist er denn nicht eine andere Art süßesten Marzipans? Von da an ging es Schlag auf Schlag. Man schluckte auch Bouvier, Buch & Kunst und andere. Heute führt Michael Busch 300 Filialen.

Diese Läden haben in der Regel mehrere Stockwerke. Und damit sind wir fast schon bei der Rolltreppe.

Erst aber tritt noch der Verleger eines kleinen, angesehenen Hauses auf, der alles, was seit 2001 geschah, sehr schön zusammenfassen kann. Er soll den Namen Frisch kriegen. Herr Frisch also fragt, was musste notwendigerweise auf die marktbeherrschende Stellung folgen, welche die Ketten, und er rede da nicht nur von Thalia, erlangt hätten? Nun, es musste folgen deren Versuch, auf Teufel komm raus steigende Margen zu erwirtschaften. Und weiter, wodurch sei nun dieser sozusagen systemimmanente Versuch gekennzeichnet? Ganz klar, durch Erpressung der Lieferanten, behauptet Frisch.

Es geht so: Thalia lädt, einzeln, an die 100 Verlage zu Jahresgesprächen, in denen die Zusammenarbeit für die nächsten zwölf Monate besprochen wird. Dabei dringen Buschs Leute auf höhere Preisnachlässe. Bei 40 Prozent ist heute niemand mehr, die wichtigsten Verlage geben 48 bis 50 Prozent, wobei von Gesetzes wegen bei 50 Prozent sowieso Schluss ist.

Und was ist, wenn man nicht darauf eingeht, Herr Frisch?” – „Dann wird man ausgelistet. Das schwebt immer im Raum. Genauso kann es übrigens passieren, dass man ausgelistet wird, wenn man sich öffentlich über die Erpressung mokiert. In einem solchen Fall ist es empfehlenswert, ebenso öffentlich Kreide zu fressen.” – „Und was bedeutet das genau: ausgelistet werden?” – „Man kommt mit seinen Titeln nicht mehr ins Thalia-Zentrallager. Wer aber dort nicht ist, kommt auch nicht automatisch in die Läden. Da Thalia bei den wichtigsten Verlagen schon 15 bis 20 Prozent des Umsatzes ausmacht, ist es für diese Häuser existenzgefährdend, gerade hier nicht vertreten zu sein.”

In der Branche, in der ein beständig Plappern ist, kursieren verschiedene Beispiele für derartige Auslistungen; man kann sich eines heraussuchen, also: Eichborn im Frühjahr 2007. Da war der Verlag auf einmal draußen bei Thalia. Und keine fünf Monate später war er wieder drin. Hatte eingelenkt. Weil er es sich gar nicht leisten konnte, hart zu bleiben. Zu den Geschichten, die über diesen Vorfall erzählt werden, gehört auch jene, wie der Thalia-Unterhändler auf der Leipziger Messe sich schon mit Eichborn geeinigt hatte und am nächsten Tag, nach einem Gespräch mit seinen Vorgesetzten, noch einmal bei den Buchmachern vorstellig wurde und eine abermalige Aufbesserung der Konditionen forderte. Die man ihm zähneknirschend gewährte. Zu den Kosten kam für den Verlag die Entwürdigung.

Aber aber, es gab damals gar keine Auslistung, wendet Michael Busch ein, und überhaupt nie gab es eine, denn: „Prinzipiell ist bei uns jedes Buch erhältlich. Jeder unserer Läden kann jedes Buch ins Sortiment nehmen.” Und da hat er recht, theoretisch, doch praktisch ist es so, dass es auf ein Nichtbestellen hinausläuft. Nur wenn ein Kunde ausdrücklich nach einem bestimmten Titel eines mit Bann belegten Verlages verlangt, wird der ihm beschafft.

Es fallen einem die Milchbauern ein. Die, vom Handel nicht minder gedrückt, werfen ihre Trecker an und tuckern bis zum Kanzleramt. Die Büchermacher aber wettern hinter verschlossener Tür. Sie haben ein paar Mechanismen entwickelt, die es ihnen erlauben, sich halbwegs mit der Lage anzufreunden. Der Vertriebsleiter eines größeren Hauses, sagen wir, er hieße Hildesheimer, stellt sich, bevor er ins Jahresgespräch zieht, jedes Mal vor, wie die weiten Thalia-Flächen ohne Bücher aussehen würden. „Ganz leer und fad.” Daraus zieht er Kraft. Frau Jelinek wiederum, kluge und zu feinem Spott fähige Kollegin Hildesheimers aus einem anderen Verlag, sagt: „Man verschließt die Augen vor manch grausamer Wahrheit. Täte man’s aber nicht, würde es ja nur in die Depression führen. Und wir brauchen doch tolle Stimmung im Haus!”

Nur einmal ist es zu einer Solidarisierung gekommen, 2005, als Michael Busch von den Verlagen eine Kostenbeteiligung für die Errichtung neuer Filialen verlangte. Da war er denn doch zu weit gegangen. Da fegte ihm die Entrüstung ins Gesicht. Da musste er schnell zurückrudern.

Und jetzt sind wir bei der Rolltreppe. Sie ist ein Synonym. Es könnte auch eine Kaffeebar sein. Wenn Michael Busch so eine Treppe für eine der Thalia-Buchhandlungen, respektive deren Finanzierung, von Frau Bachmann fordert, versucht er, die Verleger um noch ein paar mehr Dukaten zu erleichtern. Herr Frisch, der sattelfeste Theoretiker, bezeichnet dies als dritte Phase der Konzentration: „Auf das Verdrängen der Konkurrenz und das Erzwingen höherer Rabatte folgt ziemlich kreativ das Eintreiben von Zusatzgeldern.”

In Wahrheit war, nach allem, was man hört, Eichborn auch nicht allein wegen der Rabatte auf die Barrikaden gegangen. Längst werden Gesamtpakete verhandelt, darin enthalten Skonto und Boni. Rechnet man diese Summen den Preisnachlässen hinzu, so kassiert eine Kette wie Thalia von jedem halbwegs großen Verlag weit über die gesetzlich vorgeschriebenen 50 Prozent Rabatt hinaus.

Und die Verlage können das zahlen?

Nein”, sagt Herr Handke, Vertriebschef eines in hügeliger Gegend beheimateten Hauses. „Mein Deckungsbeitragsrechner hat mir gerade ein Minus ausgespuckt. Ich kann die neuesten Forderungen nicht mehr erfüllen, beim besten Willen nicht. Aber wissen Sie, was das Schlimmste ist? Es gibt nie ein Stopp. Selbst wenn wir uns diesmal noch in der Mitte treffen sollten – beim nächsten Mal ist die vollständige Forderung wieder auf dem Tisch.” Als hätte sie ihn gehört, sagt weit weg die Frau Bachmann, einem Laden wie Thalia fehle wirklich jedes Feingefühl, was in einem Verlag noch gehe und was nicht, ein Feingefühl, das andere doch nach wie vor aufbrächten.

Andere wie die Brüder Wrensch. Deren Großvater klapperte zu Zeiten, als Goethe noch kein Institut war, in Brasilien deutsche Firmen ab, um den Leuten Bücher und Heimatgefühle zu verkaufen. Mit den Einnahmen erwarb er die Buchhandlung Graff in Braunschweig. Die nun von seinen Enkeln geführt wird.

Klugerweise hatten sich die Wrenschs schon vor zehn Jahren vergrößert, von 1000 auf 2000 Quadratmeter. Einerseits waren sie an Grenzen gestoßen, andererseits wollten sie durch stärkere eigene Präsenz die Filialisten fernhalten. Sechs Jahre gelang das. Dann erschien Michael Busch mit einer freundlich klingenden Frage: Können wir nicht was gemeinsam machen? Seine Vorstellung von Gemeinsamkeit war, den Brüdern einen Anteil von 25 Prozent zu belassen, freilich nur für fünf Jahre, und sie in ihrem früheren Laden zu beschäftigen, wenngleich nur für drei Jahre, und ihnen gut ein Dutzend Entlassungen aufzubürden sowie das volle Risiko für Arbeitsgerichtsprozesse.

Wie bestimmen Sie den Kaufpreis, fragten wir ihn, was ist der Markt? – Ich bin der Markt, antwortete Busch uns.”

Und wenn sie bis dahin ernsthaft über einen Verkauf an Thalia nachgedacht hatten, so gewannen nun Stolz und Trotz die Oberhand; wie es eben ist bei Menschen, denen man unverschämt kommt. „Lieber in Ehren untergehen . . .”

O ja, untergehen, das werdet ihr, prophezeite man ihnen, ihr brecht um 30 Prozent ein, ihr werdet schon sehen!

Aber sie hielten, als er keine 500 Meter von ihnen entfernt seine Innenstadt-Filiale aufmachte, dagegen. Legten sich ein gewaltiges Zeitschriftensortiment zu. Eröffneten eine CD-Abteilung. Und sie leisteten und leisten sich doch weiter ein langes Regal mit Kunstbüchern und eines mit Klassikern; da stehen zum Beispiel Johnsons „Jahrestage”, während sie nebenan bei Thalia nicht stehen; weil sie sich nämlich nicht drehen, wie Michael Busch sagt, womit er meint, sie verkaufen sich nicht oft und schnell genug.

Und trotzdem muss man sie haben”, sagt Thomas Wrensch lächelnd. „So etwas gehört zur Seele eines Buchladens. Wir haben eine Seele. Thalia hat keine.”

Die Wrenschs haben geschafft, was andernorts kleinere Händler nicht schafften, sie haben auch finanziell obsiegt. Sie können das auf profane Art messen. Man schicke kurz vor Ladenschluss einen Mann an jede Kasse der Konkurrenz und lasse ihn irgendwas kaufen, Postkarte reicht. Er erhält einen Bon, auf dem er ablesen kann, der wievielte Kunde er ist. Demnach kommt Thalia auf ein Drittel des Umsatzes der Buchhandlung Graff, so rechnen es die Gebrüder Wrensch.

Es wird gemunkelt, Ihre City-Filiale in Braunschweig könnte zugemacht werden, Herr Busch.” – „Das schließe ich definitiv aus”, erwidert er. „Wir denken über dieses Szenario gar nicht nach.” Vielleicht aber nur so lange nicht, bis der Mietvertrag abgelaufen ist. Erst dann macht eine Schließung ja Sinn. In Berlin-Steglitz ist sie den Mitarbeitern schon avisiert. Es wird die zehnte Aufgabe einer deutschen Thalia-Filiale innerhalb von fünf Jahren sein. Expansion und Verdrängung, zu wild betrieben.

Aber ist denn alles schlecht an Thalia (und an Hugendubel/Weltbild, dem großen Konkurrenten, der sich erst genauso aufgebläht und zuletzt gar Hunderte Angestellte ausgeschieden hat)? Kein grünes Ampelmännchen zu sehen?

Doch. Man erinnere sich des habermasstapelnden Misanthropen: In der Anonymität der Ketten kaufen Menschen Bücher, die vorher keine gekauft haben.

Auch betreibt Michael Busch, nach eigenen Worten, Werbung für die Branche. Und zwar mit den Prospekten, die Thalia in einer Auflage von bis zu acht Millionen unters Volk streut. „Da steigen genauso die Verkaufszahlen der anderen Buchhändler, das tut allen gut.”

Noch einmal hat er recht, und noch einmal ist alles, genau betrachtet, viel komplizierter und gar nicht mehr erfreulich.

15 000 Euro kostet ein Titel im Weihnachtsprospekt 2009. Der Preis für ein „Thalia-Buch des Monats” liegt bei 50 000 Euro. Dafür haben die Verlage die Gewähr, dass diese Titel erstklassig sichtbar präsentiert werden. Alle anderen, ausgenommen solche, die schon Bestseller sind, verschwinden dagegen im Regal, wo sie kaum wahrgenommen werden. Und daher bezeichnet Herr Frisch jene Summen, die offiziell Werbekostenzuschüsse heißen, schlicht als Eintrittsgelder. Man muss sie zahlen, wenn man da, wo rasant verkauft wird, vertreten sein will.

50 000 Euro für einen Monat, in einer Kette, für einen Titel, wer bringt die schon auf? – Regelmäßig ein Konzern wie Random House. Selten ein unabhängiges Haus wie Suhrkamp oder Hanser. Und gar nie ein kleines wie Matthes & Seitz.

Das ist der Verlag, in dem die Geschichten Schalamows erscheinen. Die Vertriebsleiterin dort heißt Nora Pester; sie braucht kein Pseudonym, sie ist die einzige auf Verlagsseite, die sich vorbehaltlos zitieren lässt, sie hat ja nichts zu verlieren, sie sagt: „Thalia ist für uns wie eine Mauer. An der prallen wir ab.”

Bis vor ein paar Jahren war noch eine Tür in dieser Mauer. Durch die kamen, und gingen weiter in jede einzelne Filiale hinein, die Verlagsvertreter, und da sie die Einkäufer vor Ort kannten und schätzten, so wie sie von denen geschätzt wurden, gelang es ihnen, Sachen wie jene von Schalamow an den Mann zu bringen.

Vorbei. Michael Busch hat die Tür zugemauert. Es darf seit diesem Jahr kein Vertreter mehr zu Thalia, und wenn man ihn fragt, warum, sagt er ein paar Worte, die ein Büchervertreter vielleicht gar nicht lesen sollte, weil sie letztlich nur deprimierend sind: „Viele dieser Gespräche waren nicht effizient. Ganz viel irrelevante Kommunikation. Was für Zeit da teilweise vergeudet wurde bei der Weitergabe von Informationen, für die eine Seite Papier reicht – Titel, Thema, Werbemaßnahmen! Es geht um einen guten Überblick.”

Die Kommunikation gestaltet sich jetzt folgendermaßen: Der Verlag fertigt eine extra Vorschau für jede Kette. Darin geht es nicht mehr um einen Buchinhalt, sondern, wie der Herr Handke sarkastisch sagt, „darum, ob man zwei Seiten in der Brigitte kriegt oder seinen Autor zu Kerner und wie viele Exemplare dieser Autor beim letzten Mal bei Thalia verkauft hat”. So was steht da drin. Und anhand dieses Materials ordert eine Gruppe von Einkäufern die ihrer Meinung nach wichtigsten Bücher für ganz Thalia. Nicht einmal die Anzahl jener sogenannten A-Titel darf von den Filialen selbst bestimmt werden. Sie wird von der Zentrale vorgegeben.

Am Ende muss man noch einmal die Frau Jelinek hören; wie sie reagiert, wenn man das Wort Fehlentwicklung fallenlässt. „Fehlentwicklung? Ich schimpfe darüber nicht, ich sehe das gelassen, bitte schön, es ist doch bloß der letzte Schritt.”

Das Buch, das immer auch eine Ware war, ist bei Thalia zur ausschließlichen Ware geworden. Die obersten Verkäufer sehen vollkommen von deren Inhalt ab.

Und da das so ist, verliert die Frau Jelinek dann doch ihre Gelassenheit und erzählt von den Schmerzen, die es allen in ihrem Verlag jedes Mal bereitet, wenn sie die paar Autoren auswählen müssen, welche mit ihren Neuerscheinungen überhaupt in jene dünne, dem mächtigen Thalia-Einkauf mundgerecht servierte Extravorschau kommen. In die Verlosung, bei der die Bestseller gezogen werden. Nur etwa jeder Achte hat bei ihr das Glück. „Das ist schrecklich für die anderen.”

Die Bestseller nämlich werden durch das Vorgehen der Ketten immer bestselleriger, der große Rest fällt immer schneller aus den Regalen in die Vergessenheit. Heute verkauft die Frau Jelinek, und sie und ihr Haus bürgen für Qualität, von jeder fünften ihrer Roman-Novitäten weniger als 1000 Exemplare. Vor zehn Jahren waren solche Flops noch zu vernachlässigen. Was das alles fürs Leben & Sterben der eigentlichen Produzenten, der Schriftsteller, bedeutet, liegt auf der Hand.

Und in zehn Jahren? Werden wir darüber berichten, ob irgendwann wirklich ein Farbeimer geflogen ist.

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Birk Meinhardt


Birk Meinhardt, geboren 1959 in Berlin; Journalistik-Studium in Leipzig; Sportredakteur bei Wochenpost, Junge Welt, Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung; seit 1996 Reporter der SZ; Kisch-Preis 1999 und 2001; diverse Buchveröffentlichungen.
Dokumente
An der Kette

erschienen in:
Süddeutsche Zeitung (SZ),
am 14.10.2009

 

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